Boardinghouses sind heute in Deutschland allgegenwärtig. Rund um die großen Metropolen gibt es inzwischen kaum noch ein Dorf ohne. In diesem Beitrag erfahren Sie, was hinter dem Begriff steckt, wo die Unterkünfte ursprünglich entstanden sind, was man international darunter heute versteht und warum Deutschland dabei eine Sonderrolle einnimmt.
Wortherkunft
Der Begriff boarding house leitet sich vom Substantiv „board“ und nicht vom Verb „to board“ im Sinne von „an Bord gehen“ ab. Während board ursprünglich ein Brett bezeichnete, wurde im späten Altenglisch die Bedeutung auf Tisch erweitert. Daraus entwickelte sich im 14. Jahrhundert zunächst die übertragene Bedeutung „food“, später dann „daily meals provided at a place of lodging“.[1]
In seiner wörtlichen Bedeutung handelt es sich beim boarding house also um ein Haus, in dem man Kost und Logis erhält.
Über die zeitliche Erstverwendung gibt es unterschiedliche Angaben: Während Oxford English Dictionary den frühesten gesicherten Beleg auf 1728 datiert, nennt Merriam-Webster bereits das Jahr 1680.[2]
Boarding houses in den USA
The boarding people
Etwa um das Jahr 1830 erlangten boarding houses in den Vereinigten Staaten große Beliebtheit. Sie entstanden als Reaktion auf steigende Immobilienpreise und Wohnungsmangel in den Großstädten. So lebten im Boston der 1830er Jahre bis zu 50 % der Gesamtbevölkerung zeitweise in einem boarding house, was von New York noch übertroffen wurde:
In 1842, the poet Walt Whitman referred to Americans as “a boarding people.” New York city was the “capital” of boarding houses at that time, and Whitman noted that fully 75% of Manhattan’s adult population either had lived or were currently living in boardinghouses. In Boston in the 1830’s, between 33% to 50% of the city’s entire population lived in boarding houses.[3]
Bei den boarding houses jener Zeit handelte es sich eher um kleinere Unterkünfte in Privathäusern, die häufig von verwitweten Frauen geführt wurden.[4] Neben der Übernachtungsmöglichkeit, war auch Verpflegung im Preis enthalten. Dazu gab es Speiseräume, wo täglich gemeinsam gegessen wurde.
Genutzt wurden die Unterkünfte etwa von Studierenden, alleinstehenden Arbeitern, Einwanderern oder frisch verheirateten Paaren, die in die Stadt zogen. Urlauber und Familien mieteten die Unterkünfte als günstige Alternative zum Hotel. Auch viele prominente Amerikaner wie etwa Edgar Allan Poe oder Herman Melville (Moby Dick) lebten zeitweise in boarding houses. Es waren also bei weitem nicht nur Geringverdiener, die die Wohnform nutzten und schätzten.[3]
Der Niedergang
Ab den 1920er-Jahren änderte sich langsam die gesellschaftliche Haltung zu boarding houses. Diese galten zunehmend als veraltet und moralisch fragwürdig, unter anderem weil sie Menschen unterschiedlicher sozialer Klassen, Hautfarbe und Lebensstile unter einem Dach vereinten. Die Politik reagierte mit strengen Bauvorschriften und Regulierungen, die die Unterkünfte aus vielen Wohngegenden verdrängten.[3]
Mit dem Wohnungsboom der 1950er-Jahre konnten viele Angehörige der Mittelschicht erstmals eigene Wohnungen oder Häuser finanzieren, sodass boarding houses weiter an Bedeutung verloren. Heute spielen sie nur noch eine untergeordnete Rolle im Wohnungsmarkt und sind als Unterkunft für sozial Benachteiligte eher negativ konnotiert.
Boarding houses im Vereinigten Königreich
Im 19. Jahrhundert waren boarding houses im Vereinigten Königreich häufig kleine, privat geführte Unterkünfte, die Reisenden, Arbeitern oder Wohnungslosen Kost und Logis boten – vergleichbar mit dem amerikanischen Modell. Daneben existierten jedoch auch Häuser, die sich an wohlhabendere Schichten richteten:
A favorite resort of the homeless are boarding-houses. Of these establishments there are hundreds in London – from those devoted to the entertainment of minor City clerks, rigorously „engaged during the day,“ to those which – one is almost led to suppose – nobody under the rank of a baronet is received, and even then not without a reference as to respectability on the part of a peer. But most of these houses have one or two features in common. There is always a large admixture of people who go there for the sake of society.[5]
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts verloren die Unterkünfte zunehmend an Bedeutung und wurden durch modernere Wohnformen, etwa „Houses in Multiple Occupation“ (am ehesten mit Wohngemeinschaften vergleichbar) verdrängt.
Heute wird der Begriff boarding house im Vereinigten Königreich fast ausschließlich im Kontext von Boarding Schools (vergleichbar mit dt. Internaten) verwendet und bezeichnet die Schlaf- und Gemeinschaftsgebäude der Schüler. Bekannte Beispiele sind etwa die Unterkünfte an der Harrow School oder die boarding houses des Eton College.
Boarding houses in Australien
Im späten 19. Jahrhundert entstanden auch in Australien boarding houses – oft in Städten und Goldgräberregionen, wie z. B. das „Chinese Boarding House“ in Gulgong (ca. 1873). Es handelte sich dabei um einfache, kleine Gebäude, in denen meist Einwanderer und Goldsucher lebten.

Auch heute gibt es in Australien noch boarding houses. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen den Unterkünften von boarding schools (wie im Vereinigten Königreich) und „allgemeinen“ boarding houses. Bei letzteren handelt es sich um günstige, gemeinschaftliche Unterkünfte, in denen häufig mehrere Personen jeweils ein Zimmer bewohnen und sich Küche, Bad oder Wohnzimmer teilen.
Diese sind in mehreren Bundesstaaten wie New South Wales (Boarding Houses Act 2012[6]) oder Victoria klar definiert und reguliert:
A rooming house, or boarding house, is where one or more rooms are for rent and the total number of people who can reside in the property is four or more. The residents usually share facilities like kitchens and bathrooms. […] If there is an increase in the number of people in the room there must be a reduction in the rent each person pays.[7]
Betreiber müssen ihre Häuser registrieren, Mindeststandards erfüllen und Bewohnerrechte wahren.
Allgemeine boarding houses haben heute in Australien keinen guten Ruf. In der Regel lebt man nicht freiwillig in diesen, sondern weil man keine andere Wahl hat. Während der Coronapandemie galten sie außerdem aufgrund beengter Verhältnisse und geteilter Sanitäranlagen als Hotspot:
During the current COVID-19 pandemic, the combination of older and sometimes less healthy people living in dwellings where they share bathrooms and kitchens is dangerous. Lack of cleanliness makes it even more dangerous. […] Generally, people do not live in boarding houses because they want to, but because they have no choice. Affordable housing in Australia continues to be under-supplied. (CPSA, 2020)[8]
Zusammenfassend kann man also sagen, dass allgemeine boarding houses in Australien heute, vermutlich mehr noch als in den USA, als soziale Auffangstationen für Bedürftige dienen.
Boardinghäuser in Deutschland
Bauausstellung Berlin 1931
Der Begriff Boardinghouse oder Boardinghaus kam in den 1930 Jahren auch in Deutschland in Mode. So wurde etwa 1931 bei der Deutschen Bauausstellung in Berlin die Gebäudetypologie des „Boarding-Haus“ präsentiert.
Dieses in der Abteilung „Die Wohnung unserer Zeit“ ausgestellte Muster-Boardinghaus verfügte über verschiedene Wohnungstypen („für den einzelnen Mann“, „für die einzelne Frau“, „für 2 Frauen“, „für das Ehepaar“ und „für geistige Arbeiter“) jeweils mit Kochschrank und einem (durch Vorhang oder Flügeltüren) abgetrennten Schlafbereich. Im Erdgeschoss befanden sich noch ein Restaurant sowie Gemeinschaftsräume.[9]

Die Bezeichnung sollte eine fortschrittliche Gesinnung und weltoffene Einstellung suggerieren, hatte jedoch mit den ursprünglichen boarding houses in den USA, die bereits im Niedergang begriffen waren, nicht mehr viel gemein, wie M. Eisen feststellt:
Im amerikanischen Verständnis waren Boardinghouses kleine, in Privathäusern eingerichtete Pensionen, die häufig von verwitweten Frauen geführt wurden. Diese Häuser waren in der Zwischenkriegszeit bereits eindeutig negativ konnotiert, erinnerten an das 19. Jahrhundert und verwiesen häufig auf eine Hafengegend. 1890 gab es allein in Chicago 928 solcher Boardinghouses, 1915 aber nur noch 230. Deren Hochzeit war also längst abgelaufen. Zu allem Überfluss hatte 1912 am Kurfürstendamm der sogenannte Boarding-Palast eröffnet, ein spektakuläres Projekt, das reichen Besuchern der Hauptstadt den „gesamten raffinierten und luxuriösen Komfort eines modernen Hotels in höchst gelungener Vereinigung mit der intimen, abgeschlossenen Behaglichkeit der Privatwohnung“ bieten wollte.[4]
Boardinghouses ohne boarding
Auch heute noch versteht man unter dem Begriff Boardinghouse in Deutschland etwas anderes als im angelsächsischen Sprachraum.
Während dort überwiegend eine günstige Wohnform mit geteilten Einrichtungen wie Küche und Bad für Schüler oder sozial Benachteiligte verstanden wird, bieten Boardinghouses in Deutschland oft hochwertig möblierte Apartments inklusive hotelähnlicher Serviceleistungen für temporäre Aufenthalte.
Diese sog. Serviced Apartments befinden sich dabei überwiegend in größeren, professionell betriebenen Apartmenthäusern. Mahlzeiten gehören in der Regel nicht zum Angebot – das „boarding“ im Namen ist daher eigentlich irreführend.
Fazit
Das Ergebnis unserer kleinen Recherche hat überrascht, denn es wurde deutlich, dass Deutschland einen Sonderweg eingeschlagen hat. Der Begriff Boardinghouse ist nicht nur „veraltet“, wie Apartmentservice[10] schreibt, sondern hatte von Anfang an wenig mit dem Verständnis im angelsächsischen Sprachraum zu tun.
Während die Bezeichnung in einigen Ländern heute eher negativ besetzt ist, kann man sich in großen Teilen der Welt gar nichts darunter vorstellen. Im Werben um ausländische Gäste macht es also Sinn, den international gebräuchlicheren, selbsterklärenden Begriff „Serviced Apartment“ zu verwenden und auf Boardinghouse zu verzichten.
Literatur- und Quellenverzeichnis
- Harper, Etymology of board, Online Etymology Dictionary. Link
- Merriam-Webster, Boardinghouse. Link
- Housing Solutions Blog, A History of Boarding Houses: Ideal Forms of Affordable Housing. Link
- Eisen, M. (2018). Neues Wohnen für Neue Menschen: Ledigenheime als Programmbauten der Moderne in der späten Weimarer Republik. RIHA Journal, 0182. Link
- Lee Jackson, Lodgings and boarding-houses, Dictionary of Victorian London. Link
- NSW, Boarding Houses Act 2012 No 47. Link
- Victoria Legal Aid, Rooming Houses. Link
- CPSA, Boarding houses: COVID-19 risk could be as bad as nursing homes, 01.09.2020, Link
- Vorhoelzer et. al. (1931), Wohnräume im Boarding-Haus. Innendekoration 42, S. 273ff. Link
- Apartmentservice, Boardinghouse: Ein veralteter Begriff. Link
- Wikipedia contributors, Boarding house. Link
